Bernd Villhauer

Soldat, Jäger und Sammler

Der Band 'Die großen Jagden - Ernst Jünger in Frankreich' versammelt Beiträge französischer Autoren von der Tagung 'Ernst Jünger entre histoire et mythe' anläßlich Jüngers 100. Geburtstag 1995 in Paris.

Wieder einmal zeigt sich, daß ausländische Wissenschaftler leichter und freier über diesen Schriftsteller sprechen können, dessen Gestalt in den Augen der Zeitgenossen nun selbst fast schon mythische Dimensionen angenommen hat. In Frankreich, aber auch in England wird Jünger schon seit einigen Jahren ohne Polemik ganz selbstverständlich als einer der großen Künstler und Intellektuellen dieses Jahrhunderts betrachtet. Eine breite wissenschaftliche Literatur dokumentiert diese Anerkennung, bis hin zur 'Ernst Jünger in Cyberspace' - Seite im Internet, die von der University of Oxford aus bereitgestellt wird. Die Beiträge werden unter den vier Oberbegriffen `Nationalismus und Geschichtsphilosophie', `Paris', `Im imaginären Universum Jüngers' und `Wiederbegegnung mit dem Mythos' präsentiert. Sie sind von sehr unterschiedlichem Niveau; vermieden werden immerhin unfruchtbare Diskussionsbeiträge zur Einordnung Jüngers als präfaschistischem oder sonstwie belasteten Autor, die die deutsche Diskussion lange Zeit beherrschten. Hingegen werden Jüngersche Themen in ihrer Entfaltung vorgeführt, sein Schreib- und Denkstil analysiert und ideengeschichtliche Einordnungen versucht.

Die Autoren sind (neben dem Herausgeber Peter Koslowski) Louis Dupeux, Gilbert Merlio, GÈrard Schneilin, DaniËle Beltran-Vidal, Julien Hervier, Francois Poncet und Isabelle Rozet. Zum Teil hätte man sich bei der Auswahl der Texte eine noch stärkere Konzentration auf die rote Linie der Problematik geschichtsphilosophischer Dimensionen der Jüngerschen Arbeit gewünscht. Dies wird vor allem geleistet in den Beiträgen Merlios ('Jünger und Spengler'), Herviers ('Versuch einer Standortbestimmung von Eumeswil'), Poncets ('Die Meereslandschaft als mythischer Hintergrund der Geschichte') und Rozets ('Die großen Jagden. Eingang in die Welt des Mythos'). Louis Dupeux verzettelt sich leider etwas in der Darstellung zeitgeschichtlicher Details und weist zu oft auf eigene Arbeiten zum Thema hin ("Den zahlreichen Rezensenten bin ich zu Dank verpflichtet,..."), was dem kompetent geschriebenen Beitrag eine Note von Eitelkeit verleiht. Für mich persönlich aufschlußreich waren 'Jünger und Spengler', sowie 'Die großen Jagden'. Hier wird nämlich der Zusammenhang zwischen dem morphologischem Interesse Jüngers, der Beschreibung historisch wirksamer 'Gestalten', der Auseinandersetzung mit kulturkritischem Geschichtspessimismus und der Themenwahl zwischen Jagd/Flucht sowie Naturbeschreibung/'stereoskopischem Blick' besonders fruchtbar gemacht.

Jüngers Interesse ist einerseits, die geschichtsbildenden Kräfte zu beschreiben, die er als 'Gestalten' versteht; die Ideen sollen gefunden werden, die dem geschichtlichen Chaos Sinn verleihen Hier treffen Einflüsse der Gestaltpsychologie, vor allem auch eines bestimmten metaphysischen Biologismus, den Jünger während seines Biologiestudiums kennengelernt hatte, mit Spenglerschen kulturmorphologischen Geschichtdeutungen zusammen. Die Geschichte soll als in sich geschlossene, trotz aller Katastrophen und Brüche sinnvolle, ja harmonische Struktur vorgestellt werden, und nicht, wie bei Spengler, in verschiedene autonome Kreise zerfallen, die untereinander nicht in Verbindung stehen. Geschichtliche Zeit wird von mythischer Zeit fundiert und zusammengehalten.

In den großen Jagderzählungen, so Ernst Jünger, begegnen sich die Gestalten der historischen und der mythischen Ära. Die Jagd ermöglicht den Durchblick auf eine Zeitlichkeit hinter und über der Ereignisgeschichte, auf die Hochebenen einer Souveränität, der auch jeder angestrengt 'soldatische Stil' wieder fremd geworden ist. Jüngers Bestreben ist immer wieder, diesen Ausblick zu ermöglichen, ja Trost zu spenden und Kraft zur Erneuerung jenes heroischen Realismus, der benötigt wird, um der Geschichte entgegentreten zu können. Das Bild der Jagd rückt dabei in seltsame Nähe zum Bild des Sammler aks großem Kind, das ein anderer vom Nihilismus faszinierter Sinnoptimist und Eschatologe, Walter Benjamin, zeichnete. Seine Gestalt des Sammlers, der in den geordneten Artefakten die Utopie eines Niedagewesenen und doch einzig verbindlichen, geglückten Lebens ausbreitet, ist dem Jäger Jüngers verwandt. Beide suchen sie die Ausgänge in der geschichtlichen Katastrophenzeit, beide müssen auf die Apokalypse mit der Substanz ihrer Person antworten, denn "zum Mythischen kehrt man nicht zurück, man begegnet ihm wieder, wenn die Zeit in ihrem Gefüge wankt, und im Bannkreis der höchsten Gefahr" (Jünger, Der Waldgang). Verbunden sind Jünger und Benjamin durch die Anerkennung des Mythischen als konstituierende Kraft von Menschlichkeit; eine Verbindung, die man besser verstehen wird, wenn Benjamin nicht mehr als 'links' und Jünger nicht mehr als 'rechts' verkannt wird.

Die Anerkennung eines solchen mythischen Grundstromes in der Geschichte gleicht der freundlichen Traurigkeit, mit der ein Wanderer den langen Weg ansieht, der ihn zum morgendlichen Horizont führt.

Peter Koslowski (Hrsg.), Die großen Jagden des Mythos - Ernst Jünger in Frankreich, München (Wilhelm Fink) 1996

Bernd Villhauer