Postnormale oder Postmoderne Wissenschaft - Eine Betrachtung

von Jürgen Koller

Einleitung

Seit geraumer Zeit haben namhafte Autoren neue Formen der Wissensproduktion konstatiert und diese mit unterschiedlichen begrifflichen Zuschreibungen versehen.1 Neben „Mode 2“2 (Gibbons u.a. 1994; Nowotny u.a. 2001, 2003) zählt das Konzept der „post-normal science“ (Funtowicz/Ravetz 1990a,b, 1992a,b, 1993, 1994, 1999, 2003; Elzinga 1996, 1997; Ravetz/Funtowicz 1999; Ravetz 1999, 2001, 2005, 2006), durch die in den letzten Jahren in den medialen Fokus geratene Klimawandel-Diskussion, zu den wirkmächtigsten.

Diesen Neu-Konzeptionen ist zu eigen, dass sie einen basalen Strukturwandel hin zu einem „blurring of boundaries“ von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft zu erkennen glauben. Dabei, so ist der Tenor, umfasst dieser Umbruch den Übergang von einer Industrie- zu einer Wissensgesellschaft. Wissenschaft als solche wird nicht mehr nur als, im Kuhn'schen Sinne, „puzzle-solving“ (Ravetz 2006, S. 276) in einem vorgegebenen Rahmen gesehen. Vielmehr wird ein neues Paradigma der Wissensproduktion als „socially distributed, application-oriented, trans-disciplinary, and subject to multiple accountabilities“ (Nowotny u.a. 2003, S. 179) postuliert.

Freilich weisen die angeführten Neukonzeptionen teils erhebliche Differenzen auf. So gesteht Ravetz den Mode-2-Theoretikern zwar die Erkenntnis „of the new state of science, stressing mission-orientated problem-solving“ (Ravetz 2006, ebd.) in Übereinstimmung zur post-normal science zu, verweist aber noch im gleichen Atemzug auf die Unterschiede – „there is no discussion of quality, no hint of a social critique, and no mention of an extended peer community.” (S. 277) Auch sind beide Konzeptionen eingehender Kritik unterzogen worden.3

Es soll in diesem Beitrag versucht werden, den Ansatz von Funtowicz und Ravetz kritisch zu hinterfragen. Dazu werden Beispiele aus unterschiedlichen Bereichen (Klimawissenschaften, Gewalt- und Intelligenzforschung) eruiert. Schlussendlich wird eine mögliche Verbindung zwischen postnormaler Wissenschaft und postmodernem Denken aufgezeigt.

1  Postnormale Klimawissenschaft

Die Kriterien postnormaler Wissenschaft wurden ursprünglich, unter Berücksichtigung neuer Problemlagen im Umgang mit „policy issues of risks and the environment“ (Funtowicz/Ravetz 1993, S. 750), für die „ecological economics“ (Funtowicz/Ravetz 1994, S. 197) entwickelt. In diesem Sinne sehen die Autoren das Versagen „normaler“ Wissenschaft, Wissenschaft, die sich immer im jeweils vorherrschenden Paradigma artikuliert, und das Auftreten postnormaler Wissenschaft dann begründet, „if uncertainties are either of the epistemological or the ethical kind, or when decision stakes reflect conflicting purposes among stakeholders.“4 (Funtowicz/Ravetz, ebd.) Dass diese Kriterien auf die Klimawissenschaften zutreffen, wurde in der historischen Entfaltung der Neukonzeption schon früh erkannt (vgl. Funtowicz/Ravetz 1990b, 1993; Elzinga 1996). Ein weiterer Aspekt, der Erwähnung findet, ist der Ruf nach einer „extended peer community“. In Fällen postnormaler Wissenschaft ist es den Autoren zufolge angebracht, nach einer „plurality of knowledge“ (Ravetz/Funtowicz 1999, S. 642) zu streben. Wissenschaftliche Erkenntnis steht gleichsam neben personaler Erkenntnis besorgter Bürger, die „extended facts“, wie beispielsweise „anecdotes, informal surveys, and official information published by unofficial means“ (Funtowicz/Ravetz 1993, S. 753) in den Diskurs miteinbringen. Die Wahrheitssuche weicht der Qualitäts-Suche. Informationen werden auf ihre Qualität hin analysiert.5 Als Beispiel für die Partizipation von „extended peer communities“ an postnormalen Wissenschaftsprozessen wird die erworbene Immunschwächekrankheit AIDS erwähnt:

„The new paradigm of post-normal science, involving extended peer communities as essential participants, is clearly seen in the case of AIDS. Here the research scientists operate in the full glare of publicity involving sufferers, carers, journalists, ethicists, activists and self-help groups, as well as traditional institutions for funding, regulation and commercial application. The researchers' choice of problems and evaluations of solutions are equally subjected to critical scrutiny, and their priority disputes are similarly dragged out into the public arena.“ (Ebd.)

Die hieraus erwachsenden Probleme werden im fortschreitenden Beitrag zu erörtern sein.

Klimawissenschaft oder Klimatologie als solche, gilt als interdisziplinäre Wissenschaft, welche aus Erkenntnissen der Meteorologie, Ozeanographie, Glaziologie und teilweise der Geographie schöpft (vgl. Bray/von Storch 1999, S. 439). Noch vor wenigen Jahrzehnten fristete die Klimatologie ein Randdasein im Kollektiv der wissenschaftlichen Disziplinen. Mit dem zu Ende gehen des 20. Jahrhunderts und der medial wirksamen Sachstandsberichte des IPCC6, änderte sich die öffentliche Wahrnehmung. Umweltverschmutzung, das beschleunigte Aussterben verschiedener Tierarten und der Klimawandel (Saloranta 2001, S. 395) rückten die Wissenschaft und deren Vertreter7 in das Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die mit Unsicherheiten behaftete Wissenschaft, der nahe gelegte menschliche Anteil an der globalen Erwärmung und teils radikale Prognosen passen ins konstruierte Bild einer postnormalen Wissenschaft und dennoch lassen sich bereits an diesem Beispiel bisher vernachlässigte Momente in der diskursiven Auseinandersetzung identifizieren.

2  Die mittelalterliche Warmperiode im Kontext postnormaler Wissenschaftlichkeit

Innerhalb der Paläoklimatologie, einem Teilbereich der Klimawissenschaften, welcher sich interdisziplinär mit den klimatischen Prozessen der Vergangenheit beschäftigt, findet sich das Konzept der Mittelalterlichen Warmperiode (MWP) an prominenter Stelle8 als Deutungsmuster für die klimatischen Bedingungen während des letzten Millenniums vor.9 Diese Konzeption erfreut sich immer noch einer breiten Anwendung, erstens im gesellschaftlichen Common Sense – Besiedelung Grönlands durch die Wikinger in der MWP – und zweitens bei einem Großteil, der mit Klimarekonstruktionen beschäftigten Klimawissenschafter (Siehe NOAA Palaeoclimatology Program). Ungeachtet dessen hat sich in den letzten Jahren die Bezeichnung Mittelalterliche Klimaanomalie (MCA) als Gegenmodell in Teilen der paläoklimatologischen Fachschaft etabliert. Die Gründe dafür sind vielfältig und werden nun erörtert.

Der Fachausdruck MWP wird zweifelsohne heute sowohl von Anhängern (Wissenschaftern, NGOs, Politikern und Bürgern) der AGW-These10 als auch von Klima”skeptikern” oder, je nach Standpunkt, “-realisten” im politischen Sinne vereinnahmt. Vor dem Hintergrund konfligierender Werte, unterschiedlicher Bewertungen über die Relevanz der gegenwärtigen Erwärmungsphase in einem längerfristigen Kontext, mit Entwurf für eine teilweise als katastrophal gezeichnete, nahe Klimazukunft, stehen Wissenschaft und Politik unter fortwährendem Entschlusszwang. Die MWP kann somit als Beispiel für postnormale Wissenschaft innerhalb des Klimadiskurses gesehen werden.

Die Begrifflichkeit MCA etablierte sich über eine Arbeit von Stine, in welcher er hydrologische Veränderungen, im Sinne von teils extremen, lang-andauernden Dürrekonditionen in der Sierra Nevada und in Patagonien, während des Mittelalters feststellte.

Er schloss daraus:

“The aberrant atmospheric circulation of mediaeval time seems to have brought to some regions of the world a far greater departure in precipitation than in temperature. With this in mind, and to avoid prejudicing future palaeoclimatic analyses, reference to a 'Medieval Warm Period' or a 'Little Optimum', except when applied locally, should be replaced with some other phrase (for example, 'Neo-Atlantic' or 'Medieval Climatic Anomaly') that avoids a precise characterization of conditions” (Stine 1994, S. 549).

Stine bestreitet nicht, dass die – in seinen Worten – MCA ein globales Ereignis gewesen wäre (vgl. Stine, ebd.). Er verschiebt lediglich das Schwergewicht der Betrachtung weg von angenommenen Temperaturen, hin zu hydroklimatischen Bedingungen. Einer Differenzierung bedienen sich auch Hughes und Diaz, in einer weiteren, kritischen Arbeit:

“Some of the evidence compiled here and in the twelve articles of this special volume suggests that the time interval known as the Medieval Warm Period from the ninth to perhaps the mid-fifteenth century A.D. may have been associated with warmer conditions than those prevailing over most of the next five centuries (including the twentieth century), at least during some seasons of the year in some regions.” (Hughes/Diaz 1994, S. 136)

Als übergreifender Konsens – mit Ausnahme der gewichtigen Studie von Mann u.a. 199911 – in den MWP-kritisch zu bewertenden Arbeiten, kann festgehalten werden:

Die gemittelten Temperaturen im Hochmittelalter waren wärmer als während der nachfolgenden Kleinen Eiszeit, zumindest nordhemisphärisch. (Crowley/Lowery 2000, S. 54; Bradley u.a. 2003, S. 405)

Obwohl die postulierte Nivellierung einer MWP in der erwähnten Studie von Mann u.a. in weiterer Folge zurückgewiesen wurde (u.a. von Storch u.a. 2004; von Storch/Zorita 2005; McIntyre/McKitrick 2005a,b; IPCC 2007) und (neueste) Klimarekonstruktionen (wieder) an die frühen Aussagen Lambs heranreichen (vgl. Ljungqvist 2009, 2010; Ljungqvist u.a. 2012), wird der Fachausdruck MCA auch weiterhin verwendet. Zu beachten bleibt, dass sich die Verwendung des Terminus MCA nicht nur auf Stines Kerngebiete erstreckt, sondern mittlerweile auch auf, beispielsweise Europa seine Anwendung findet (z.B. Goossee u.a. 2012). Dabei ist eine Verschiebung der ursprünglichen Schwerpunktsetzung offensichtlich. Einerseits tangiert der Hinweis darauf – im Sinne von Beleg für eine MCA und gegen eine MWP –, dass “few direct estimates of winter and annual mean changes also indicate relatively mild conditions“ (Goossee u.a., S. 35)12, das auch von den “Kritikern” akzeptierte “wärmer” nur peripher. Andererseits wirft das spezielle Augenmerk auf den Lokus der MWP, die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer fortgeschrittenen Zergliederung des “Problemes” auf. So könnte man letztlich durchaus reduktionistisch dafür argumentieren, dass Aussagen über eine etwaige Erwärmung im Mittelalter einzig für die Studiengegend oder gar nur bezogen auf die zugrunde liegenden Datenquellen (z.B. in der Dendrochronologie) von Wert seien. Schießt man hier nicht mit Kanonen auf Spatzen? Und wenn ja, warum?

Neben den Klimawissenschaften werden andere, teils mit technischen Risiken behaftete oder sich direkt auf die Umwelt auswirkende Bereiche, wie in der Molekularbiologie (Strand 2000) oder speziell die Endlagerung von radioaktivem Müll betreffend (vgl. Saloranta 2001, S. 398), als postnormal angesehen.

3  Gewalt- und Intelligenzforschung – Beispiele postnormaler Wissenschaft?

Gewalttätig-aggressives Verhalten wird meist mit dem männlichen Geschlecht in Verbindung gebracht. So geht die feministische Gewaltforschung davon aus, dass Gewalt, hier in heterosexuellen Paarbeziehungen, im überwiegenden Teil von Männern initiiert wird und Frauen fast ausschließlich Opfer damit einhergehender Handlungen sind (u.a. Dobash/Dobash 1979; Dobash u.a. 1992). Ungeachtet dieses allgemeinhin akzeptierten Umstandes, hat sich in den 1970er Jahren in den USA aus der Familien- und Konfliktforschung kommend, die Einsicht manifestiert, dass Domestic Violence und Intimate Partner Violence zu fast gleichen Teilen von Männern und Frauen ausgeübt wird (Straus 2009, S. 553). Dabei wurde und wird als Erhebungsinstrument in der Regel die sogenannte Conflict-Tactics-Scale (Straus 1979; Straus u.a. 1996) verwendet. Feministische Gewaltforschung lehnt dieses Erhebungsinstrument ab und kommt in eigenen Erhebungen zu gegensätzlichen Ergebnissen (z.B. Kavemann 2009).

Es herrscht die für postnormale Wissenschaft postulierte Unsicherheit vor. Die generierten Erkenntnisse sind zudem von potentieller Signifikanz, einerseits, da für die feministische Frauen- und Gewaltforschung der Begriff des Patriarchats einen basalen Charakter einnimmt und andererseits, da unbegründetes Postulieren einer Gleichverteilung gewalttätiger Handlungen in partnerschaftlichen Beziehungen zu einer Relativierung weiblichen Leides führen könnte. Politik und Wissenschaft sehen sich, nicht zuletzt durch die Arbeit von NGOs forciert, großem Entscheidungsdruck ausgesetzt.

Man mag über die Relevanz der Erkenntnisse auf beiden Seiten geteilter Meinung sein, es ist jedoch nicht ersichtlich, warum die gewonnenen Erkenntnisse aus der Konfliktforschung (siehe Archer 2000, 2002, 2004, 2006; Whitaker u.a. 2007; Fiebert 2010) nicht bis in den Mainstream vorgedrungen sind. Auch scheint die Frage – wie sich noch zeigen wird – inwiefern Gewalt in weiblichen, gleichgeschlechtlichen Partnerschaften eine Rolle spielt, von Bedeutung zu sein. Einige Studien verweisen auf ähnliche Präfalenzraten wie in heterosexuellen Partnerschaften (Renzetti 1992; Renzetti/Miley 1996; West 2002; Duke/Davidson 2009). Zieht man dies in Betracht und ersetzt die wissenschaftliche Wahrheitsfrage mit der Frage nach der “quality of the processes” (Ravetz/Funtowicz 1999, S. 642), dann drängt sich die Einsicht förmlich auf, dass postnormaler Wissenschaft eine Komponente postmodernen Denkens inhäriert.

1994 veröffentlichten Herrnstein und Murray (HuM) The Bell Curve. In diesem Buch verschrieben sich die Autoren, wie der Titel nahe legt, dem Thema Intelligenz.13 Die darin enthaltenen Thesen führten zu einer breit angelegten Kontroverse14 und veranlassen bis heute führende Intelligenzforscher dazu, Stellung zu nehmen (Gottfredson 1994; Neisser u.a. 1996, Nisbett u.a. 2012). Eine der Trennlinien in der Kontroverse ist die Frage nach der Heritabilität von kognitiven Leistungen, d.h. ganz allgemein, inwiefern und inwieweit Intelligenz vererbbar ist – HuM gehen von 40-80% aus (siehe FN 13). Wissenschaftliche Unsicherheit scheint vorzuherrschen, die Thematik einer ethischen und politischen Bewertung ausgesetzt, ein “blurring of boundaries” zu beobachten zu sein.15

Intelligenzforschung als Beispiel für postmodern science?

2012, 18 Jahre nach The Bell Curve, veröffentlichte die American Psychological Association (APA) das zweite Positionspapier.16 Bereits 1996 präsentierten Neisser u.a. als Reaktion auf die heftig geführte Debatte “the consensus of intelligence experts on the issues raised by the book” (Nisbett u.a. 2012, S. 130). Dieser Konsens beinhaltet eine mit Gottfredson geteilte Grundposition in definitorischen Belangen. Gottfredson’s Definition von Intelligenz wird übernommen. Diese lautet:

“Intelligence ... involves the ability to reason, plan, solve problems, think abstractly, comprehend complex ideas, learn quickly and learn from experience. It is not merely book learning, a narrow academic skill, or test-taking smarts. Rather it reflects a broader and deeper capability for comprehending our surroundings–“catching on,” “making sense” of things, or “figuring out” what to do.” (Gottfredson 1994, A18)

Verschiedene Kernaussagen, meist in Übereinstimmung mit Gottfredson und Neisser u.a., bestätigen Summer’s „Hypothesen“. Von speziellem Interesse scheinen mir nachfolgend Punkt 1 und 4 zu sein:

  1. Sowohl Umweltfaktoren als auch Vererbung beeinflussen die Intelligenz. Die meisten Studien beziffern den genetischen Einfluss mit 40 bis 80%17 – bei Kindern “generally less” (Nisbett u.a., S. 132) als bei Erwachsenen.
  2. Sozio-kulturelle Umwelteinflüsse (social class) haben große Auswirkungen auf den IQ.18
  3. Die Hirnforschung hat eine Verbindung zwischen Gehirnaktivität im Präfrontalkortex und “performance on fluid reasoning and executive function and working memory tasks”(Ebd., S. 141) festgestellt, sowie, dass Hochbegabte “individuals of high ability” ihr Gehirn “at the neural level” effizienter als Normalbegabte einsetzen.19
  4. Es gibt Geschlechterdifferenzen in bestimmten Bereichen “some areas that show average sex differences”. Frauen erzielen durchschnittlich bessere Ergebnisse in Bereichen, welche die verbalen Fähigkeiten, u.a. die Gedächtnisleistung, abrufen. Männer schneiden in der Regel bei visuell-räumlichen Aufgaben, wie Objektrotationen im 3-dimensionalen Raum, besser ab. (S. 144) Des Weiteren sind mehr Männer als Frauen sowohl in einem IQ-Bereich <70 “mentally redarded” als auch im Hochbegabungsbereich vorzufinden. Das Verhältnis im Hochbegabungsbereich liegt zwischen 4:1 und 3:1. (S. 145) Auch aus der Intelligenzforschung wird ersichtlich, dass es Felder wissenschaftlicher Aktivität gibt, welche gesellschaftspolitischer Kritik ausgesetzt, mit gesellschaftlicher Bewertung auch innerhalb des eigenen Skopus‘ konfrontiert sind. Eine postnormale „Durchmischung“ der Sphären kann konstatiert werden. Intelligenzforschung scheint in der Tat ein Beispiel für postnormale Wissenschaft zu sein.

4  Postnormal oder postmoderne Wissenschaft – Abschließende Überlegungen

Wenngleich die hier angeführten Beispiele als postnormale angesehen werden können, stellen sich Grundsatzfragen hinsichtlich des Konzeptes der postnormalen Wissenschaft. Man geht sicher nicht fehl, wenn man die postulierte, neue Wissensproduktion in der postnormal- science mit Weingart auf drei interferierende Prozesse beschränkt: „(1) the scientification of politics; (2) the politicization of science; (3) the medialization of the relationship between science and politics, i.e. the scientific themes which are relevant for political legitimation are becoming topics in the media and thus objects of public attention.“ (Weingart 1997, S. 605) Nimmt man ein solches Wechselspiel der Interessenssphären an, wird ersichtlich warum die Wahrheitsfrage der Frage nach hinreichender Informationsqualität weicht, weichen muss. Die Qualität von Informationen wird auch von der „extended peer community“ sichergestellt, und weiter noch „[o]n occasion, the legitimate work of extended peer communities can even go beyond the reactive tasks of quality assessment and policy debate [and] involve concerned citizens doing the disciplined research‘ (Ravetz and Funtowicz 1993, 752 our emphasis).” (Wesselink/Hoppe 2011, S. 3) Wenn nun die Qualität von Informationen in einem Diskurs zwischen falsifizierbarer wissenschaftlicher Erkenntnis und subjektivem Meinen ausgehandelt wird, ergibt sich (natur-)wissenschaftliche Erkenntnis postmoderner Agitation. Hinter dem Konzept postnormaler Wissenschaft steht, so sehe ich das auch, eine politische Agenda (vgl. Wesselink/Hoppe, S. 2f.), eine subjektive Weltanschauung. Machtstreben und Eigeninteresse weichen wissenschaftlicher Neugier und Wahrheitssuche. Und doch, wie unsere Beispiele zeigen, bedarf es einer jeden postmodernen Einlassung eines modernen Elementes. Subjektive Bewertungen müssen in gewissem Sinne objektiviert werden um gesellschaftliche Geltung beanspruchen zu können. Dies kann, so scheint mir, über eine Politisierung der Medien (Manufactured Consent) und Etablierung bestimmter Grundnormen erfolgen, welche, bei Zuwiderhandlung gesellschaftliche Sanktionen nach sich ziehen und scheint dann von Erfolg geprägt zu sein, wenn die breite Masse der Bürger bezüglich der aufgeworfenen Fragestellung nicht über genügend wissenschaftliche Kompetenz verfügt und/oder wenig Eigen-Interesse oder Motivation für einen Eintritt in den Macht-Diskurs, aufbringt. Freilich tritt hier ein Kollateralschaden zutage. Wird der Machtdiskurs zugunsten einer Seite entschieden, Informationen diesbezüglich gedeutet, werden gegenteilige Deutungsmuster nivelliert:

So scheint sich auch hier das Sprichwort, dass der Sieger die Geschichte schreibt, zu bewahrheiten.

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1 Zu erwähnen wären u.a. „Innovation systems“ von Edquist, „Triple Helix of university-industry-government relations“ von Etzkowitz und Leydesdorff und “Academic capitalism“ von Slaughter und Leslie. (Siehe Literaturliste)

2 Eine Skopus-Abfrage aus dem Jahre 2007 ergab über 1000 Zitationen in wissenschaftlichen Journalen. (Hessels/Lente: Re-thinking new knowledge production: A literature review and a research agenda. In: Research Policy 37 [2008], S. 748)

3 Siehe u.a. Krücken (2001, 2003), Weingart (1997, 2001); neuerdings Goeminne (2011), Kappor (2011) und Wesselink/Hoppe (2011). Von philosophischer, meist wissenschaftstheoretischer Seite grundlegend am Konzept einer „normalen Wissenschaft“ und der „Inkommensurabilitätsthese“: Scheffler (1967), Feyerabend (1970), Popper (1970), Toulmin (1970), Putnam (1975) und Kripke (1980).

4 Die wohl bekannteste Formulierung lautet: „In the sorts of issue-driven science relating to the protection of health and the environment, typically facts are uncertain, values in dispute, stakes high, and decisions urgent.“ (Funtowicz/Ravetz 1993, S. 744; 2003, S. 1) Da die Autoren ihre Konzeption bewußt nicht streng ausformulieren (Ravetz/Funtowicz 1999, S. 642) und einmal als „insight“ (Ebd.), ein anderes Mal als „theory“ (Ravetz 2006, S. 275) und dann wieder als „methodology“ (Funtowicz/Ravetz 1993, S. 740) bezeichnen, erscheint mir die hier verwendete Definition gerechtfertigt zu sein.

5 Zu erwähnen ist das eigens dafür entwickelte NUSAP-System (u.a. Funtowicz/Ravetz 1993, S. 742-744).

6 Das International Panel on Climate Change (IPCC) wurde 1988 von der Weltorganisation für Meteorologie und dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen ins Leben gerufen und versteht sich als zwischenstaatliches Gremium. „Seine Aufgabe besteht darin, die aktuelle wissenschaftliche, technische und sozioökonomische Literatur, die weltweit zu dem Thema publiziert wird, umfassend, objektiv, offen und transparent zusammenzutragen und zu bewerten.“ http://www.de-ipcc.de/de/119.php (abgerufen am 05.07.2012) Der Öffentlichkeit werden diese Ergebnisse regelmäßig, im Abstand von einigen Jahren als IPCC-Berichte (FAR 1990, SAR 1995, TAR 2001, AR4 2007) präsentiert. http://www.ipcc.ch/publications_and_data/publications_and_data_reports.shtml#1 (abgerufen am 05.07.2012) Ungeachtet der Tatsache, dass das IPCC selbst keine Wissenschaft betreibt, somit „nur“ ein politisches Gremium darstellt, haben die Berichte, erstellt unter Beteiligung führender Klimawissenschafter, einen handlungsleitenden Stellenwert.

7 Hans von Storch, einer der bekanntesten deutschen Klimaforscher, zählte 2011 laut Focus (Focus – das moderne Nachrichtenmagazin 2 [2011]) zu den '100 einflussreichsten Deutschen'.

8 Dazu wird auch die Kleine Eiszeit, von Francois E. Matthes als “little lce age” (LIA) als Fachbegriff eingeführt um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass wir in “an epoch of renewed but moderate glaciation – a 'little ice age' that already has lasted about 4,000 years” (Matthes 1939) leben, gerechnet. Mittlerweile lässt die Datenlage darauf schließen, dass die LIA wohl ein globales Ereignis, wenngleich mit lokalen Unterschieden in Temperaturamplitude und temporaler Fortdauer, gewesen ist (vgl. Wanner u. a. 2008). Im Allgemeinen wird ein Zeitraum von ca. 1550 bis 1850 A. D. genannt.

9 Die MWP wurde als Terminus technicus von Hubert Lamb eingebracht. Er konstatierte eine Erwärmungsphase im Hoch- und Spätmittelalter, vor allem für die Nördliche Hemisphäre, im Speziellen für Nord-Europa und Grönland (vgl. Lamb 1965, 1966, 1982).

10 Die AGW (anthropogenic global warming)-These besagt, dass der Anstieg der global gemittelten Temperaturen (Erdatmosphäre und Ozeane), zumindest in den letzten Jahrzehnten, den anthropogenen CO2-Emissionen (mit)geschuldet sei.

11 In dieser Arbeit war keine Erwärmungsphase im Mittelalter, für die Nördliche Hemisphäre ersichtlich. Obwohl in ihr eine neue, wissenschaftlich noch nicht etablierte Methodologie zur Anwendung kam (vgl. Mann u.a. 1998; 1999, S. 759), hinderte dies das IPCC nicht daran, eine, mittlerweile zu Bekanntheit gereichte Grafik aus der Studie im TAR 2001 (S. 134) abzubilden und in weiterer Folge öffentlich wirksam zu propagieren.

12 Die Literaturverweise gehen teilweise ins Leere. So schreiben Tiljander u.a: “Even though the sedimentation in Lake Korttajarvi most likely reflects relatively long-term changes in local hydrology rather than temperature, several studies indicate a relative temperature rise during the Medieval period in Scandinavia” (Tiljander u.a. 2003, S. 574). Ebenfalls scheint der Einwand “Medieval warmth was certainly not continuous, nor was it spatially synchronous” (Goossee u.a. 2012, S. 35), hinsichtlich der Feststellung über die gemittelten Temperaturen, von vernachlässigbarer Relevanz zu sein.

13 Zum Inhalt, vom Backcover: “The Bell Curve describes the state of scientific knowledge about questions that have been on people's minds for years but have been considered too sensitive to talk about openly–among them, IQ's relationship to crime, unemployment, welfare, child neglect, poverty, and illegitimacy; ethnic differences in intelligence; trends in fertility among women of different levels of intelligence; and what policy can do–and cannot do–to compensate for differences in intelligence.” In der Einleitung werden sechs, aus der Intelligenzforschung gewonnene Erkenntnisse, angeführt, welche die Autoren als breite, konsensuelle Meinung unter Experten verstehen (Herrnstein /Murray 1994, S. 22-23):

  1. There is such a thing as a general factor of cognitive ability on which human beings differ.
  2. All standardized tests of academic aptitude or achievement measure this general factor to some degree, but IQ tests expressly designed for that purpose measure it most accurately.
  3. IQ scores match, to a first degree, whatever it is that people mean when they use the word intelligent or smart in ordinary language.
  4. IQ scores are stable, although not perfectly so, over much of a person's life.
  5. Properly administered IQ tests are not demonstrably biased against social, economic, ethnic, or racial groups.
  6. Cognitive ability is substantially heritable, apparently no less than 40 percent and no more than 80 percent.

14 Zu den kritischen Einlassungen zählen u. a. Heckman (1995) und Fraser (1995).

15 Lawrence Summers, von 2001 bis 2006 Präsident der renommierten Harvard University, musste auf öffentlichen Druck hin sein Amt vakant stellen. Ein Kritikpunkt waren seine Anmerkungen bei der “NBER Conference on Diversifying the Science & Engineering Workforce“ http://www.harvard.edu/president/speeches/summers_2005/nber.php im Januar 2005. Er vertrat darin „unofficially“ als „attempts at provocation“ drei Hypothesen über die Ursachen für weibliche Unterrepräsentation in „enured positions in science and engineering at top universities and research institutions“. Als dritte Hypothese, auch der Gewichtung nach – „in my own view, their importance probably ranks in exactly the order that I just described“ –, führt Summers „different socialization and patterns of discrimination in a search“, an. In diesen Bereich fällt auch die kritisierte Aussage über „issues of intrinsic aptitude“: „So my best guess, to provoke you, of what's behind all of this is that the largest phenomenon, by far, is the general clash between people's legitimate family desires and employers' current desire for high power and high intensity, that in the special case of science and engineering, there are issues of intrinsic aptitude, and particularly of the variability of aptitude, and that those considerations are reinforced by what are in fact lesser factors involving socialization and continuing discrimination. I would like nothing better than to be proved wrong, because I would like nothing better than for these problems to be addressable simply by everybody understanding what they are, and working very hard to address them.“ Der “Fall” Summers ist ein guter Beleg für die Vermischung von wissenschaftlichen und politischen Belangen. Insofern Summer’s Meinungen eine wissenschaftliche Konsensmeinung widerspiegeln, kann der weitere Verlauf, bis hin zur Entlassung von Summers, in einem postnormalen Sinne erfasst und beschrieben werden.

16 Nisbett u.a.: Intelligence: New Findings and Theoretical Developments. In: American Psychologist 67.2 (2012), S. 130-159.

17 “Most studies estimate that the heritability of IQ is somewhere between 40 and 80% (and generally less for children), but it really makes no sense to talk about a single value for the heritability of intelligence. ... That the heritability of intelligence is between zero and one has one important consequence: Without additional evidence, correlations between biologically related parents and children cannot be unambiguously interpreted as either genetic or (as is more frequently attempted) environmental.” (Nisbett u.a. 2012, S. 132)

18 “We can be confident that the environmental differences that are associated with social class have a large effect on IQ.” (Ebd., S. 136)

19 “An important finding of brain imaging research over the past decade is that individuals of higher ability exhibit greater efficiency at the neural level.” (S. 142)