von Geraldine Ermisch
In Hans Jonas’ ethischem Hauptwerk Das Prinzip Verantwortung, Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation erklärt der Autor die Grundzüge und Eigenschaften traditioneller Ethikformen und verdeutlicht, welche neuen Anforderungen eine der heutigen technisierten Zivilisation angepasste Ethik an die Menschheit stellen würde.
Dabei betont er unter anderem, dass sich der Charakter menschlichen Handelns stark verändert hat. Es sei vor allem die neue Größenordnung unserer heutigen Handlungen, die alle bisherigen Grenzen sprenge. Früher hätte zum Einen das Ziel einer Handlung sowohl zeitlich als auch räumlich „nahe bei der Handlung“[1] selbst gelegen, zum Anderen wären „der Handelnde und der Andere (...)stets Teilhaber einer gemeinsamen Gegenwart“[2] gewesen. „Diesen Begrenzungen“, so Jonas, war auch das Wissen, welches notwendig ist, „um die Moralität der Handlung zu verbürgen“[3] unterworfen. Der Autor verweist hier auf Kant, der die Meinung vertrat, es bedürfe ‚keiner Wissenschaft oder Philosophie (...), um ehrlich und gut, ja sogar, um weise und tugendhaft zu sein’,[4] denn, so Jonas: „Das gut oder schlecht“ einer Handlung „ist völlig entschieden innerhalb“ eines „kurzfristigen Zusammenhangs“.[5] Das oben genannte Wissen habe in keiner traditionellen Ethik etwas mit „theoretischer Wissenschaft“ zu tun sondern es handle sich um „Wissen einer Art, die allen Menschen guten Willens offen steht“[6].
Zudem sei nach Jonas’ Meinung auch der Verantwortungsraum, welcher die Handlungen eines Menschen umgibt, auf die Zeit der Handlung und die unmittelbar davonbetroffenen Personen beschränkt, er ging weder zeitlich noch räumlich darüber hinaus.[7]
Genau diesen Verantwortungsraum sieht der Autor nun durch die veränderten Bedingungen, welche eine technisierte Zivilisation mit sich bringt, erweitert.
Während die Technik früher dem Erreichen „wohldefinierte(r) naheliegende(r) Zwecke“[8] diente, überholen die heutigen Erkenntnisse und Folgen, welche sich aus technologischer Weiterentwicklung ergeben, durch „kumulative Selbstfortpflanzung“ [9] die Handlungsziele Einzelner und betreffen, zum Beispiel in Form von Umweltzerstörung, letztendlich nicht nur den oder die „Täter“, sondern die gesamte Menschheit bis hin zu kommenden Generationen.
Kurz gesagt: Die Grenzen unseres Verantwortungsraumes sind über die Grenzen unseres Wissens hinausgewachsen, es besteht eine „Kluft zwischen Kraft des Vorherwissens und Macht des Tuns“[10].
Um diese Kluft zu überbrücken, müsste das Wissen des Menschen laut Jonas „dem kausalen Ausmaß unsere Handelns größengleich sein.“ Dies sei in den Augen des Autors allerdings gar nicht möglich, daher betont er die Notwendigkeit einer „Selbstbeaufsichtigung unserer übermäßigen Macht“.[11]
Der von Hans Jonas im Titel des vorliegenden Werkes erwähnte „Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation“ kann meiner Meinung nach bereits an dieser Stelle als gescheitert angesehen werden.
Jonas selbst betont die Notwendigkeit einer Ethik, welche uns moralische Orientierung geben soll, in einer Zeit, in der die Folgen unseres Handelns nicht mehr abzuschätzen sind, er ist jedoch nicht in der Lage einen Weg zu einer solchen Ethik aufzuweisen.
Zwar plädiert er für eine „Selbstbeaufsichtigung unserer übermäßigen Macht“[12], doch stellt sich mir die Frage, wie eine solche Selbstbeaufsichtigung aussehen soll. Wie Jonas bin ich der Meinung, dass es nicht möglich ist, unser „vorhersehendes Wissen“ an das wissenschaftliche, technologische Wissen anzupassen. Und zwar aus dem einfachen Grund, dass sich der Mensch meist erst im Nachhinein der Folgen seines Handelns bewusst wird. Meiner Meinung nach kommt es zu einer stetigen Parallelverschiebung zwischen Wissen und Unwissenheit über die Folgen auf Wissen basierender Handlungen. Ist es aber nicht möglich die genauen Folgen einer Handlung abzuschätzen, nach welchen Kriterien soll dann durch Selbstbeaufsichtigung über den moralischen Wert einer Handlung entschieden werden? Hierzu liefert der Autor leider keine Antwort.
Sind die Folgen einer Handlung grundsätzlich nicht absehbar, so kann diese in keinem Falle moralisch vertretbar sein.
Die einzige Möglichkeit die Unwissenheit über mögliche Auswirkungen menschlichen Handelns einzudämmen und damit den totalen Kontrollverlust zu verhindern beziehungsweise einen neuen, klar definierten Rahmen für eine Orientierung gebende Ethik zu schaffen, sehe ich somit im Stillstand der menschlichen Weiterentwicklung. Da dies aber einerseits gegen die Natur des Menschen geht und andererseits durch ihre schiere Anzahl nicht durchzusetzen wäre, sehe auch ich keinen Ausweg aus diesem „neue(n) ethische(n) Problem“.[13]
[1] Jonas, Hans, „Das Prinzip Verantwortung: Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation“, 3. Auflage, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1993, S. 22.
Soweit nicht anders angegeben beziehen sich alle folgenden Angaben auf Jonas, Hans, „Das Prinzip Verantwortung: Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation“
[2] Ebenda, S.23.
[3] Ebenda, S.24.
[4] Ebenda.
[5] Ebenda, S.25.
[6] Ebenda, S.24.
[7] Vgl.,S.25.
[8] Ebenda, S.31.
[9] Ebenda, S.28.
[10] Ebenda.
[11] Ebenda.
[12] Ebenda.
[13] Ebenda, S.28.