Johann Gottlieb Fichte, Gesamtausgabe der bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. von Reinhard Lauth, Hans Gliwitzky, Erich Fuchs und Peter K. Schneider, Johann Gottlieb Fichte, Kollegnachschriften, Reihe IV, Band 5: Kollegnachschriften 1812, Herausgegeben von Erich Fuchs, Hans Georg von Manz, Ives Radrizzani, Peter K. Schneider, Martin Siegel und Günter Zöller unter Mitwirkung von Matteo d’ Alfonso, 12/2008, X, 566 Seiten, 9. Abb. Leinen, Stuttgart-Bad Cannstatt (frommann-holzboog Verlag e. K.), ISBN: 978-3-7728-2175-2, Preis: 291,00 Euro
von Stefan Groß
Zu Recht kann man die von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften seit 1962 herausgegebene und im renommierten frommann-holzboog Verlag erscheinende Gesamtausgabe von Johann Gottlieb Fichtes Schriften als editorisches Großprojekt des 20. Jahrhunderts betrachten. Die Schriftenreihe, die ebenso eindrucksvoll aufgemacht sowie auch hervorragend recherchiert und kommentiert ist, ist bereits seit Jahren das Standardwerk der Fichteforschung und hat sich schon damit ihren Platz in der Geschichte gesichert.
In den nunmehr edierten Kollegnachschriften liegt das Hauptaugenmerk auf der Spätphilosophie Fichtes.
So stehen im Mittelpunkt des fünften Bandes drei Kollegnachschriften aus den Jahren 1812 und 1813. Alle drei sind das Ergebnis von Fichtes Vorlesungstätigkeit an der Berliner Universität während jener Zeit. Zwei der drei Nachschriften, die hier zum ersten Mal abgedruckt werden, widmen sich der Transzendentalen Logik, über die der Philosoph im Sommersemester 1812 und im Wintersemester 1812/13 las, darin eingeschoben ist eine im Oktober 1812 gehaltene Einleitungsvorlesung, die Fichte turnusgemäß vor jeder Vorlesung anbot, und die für alle Studierenden besuchbar war.
Die Nachschrift von Moritz Itzig, der ein Jahr vor Fichte, also 1813, im Alter von 26 Jahren verstarb, wurde als Leittext dem fünften Band der Kollegnachschriften vorangestellt, weil diese, so die Begründung der Herausgeber, am ausführlichsten und am vollständigsten den Wortlaut von Fichtes Vorlesung aus dem Sommersemester 1812 wiedergibt. Die an zweiter Stelle im Band Eingang findende „Nachschrift Halle“, „Vom Studium der Philosophie überhaupt“, ist eine knapper gehaltene Darstellung von Fichtes Einleitungsvorlesung. An dritter Stelle, mit fast 270 Seiten, wurde die Nachschrift aus der Feder von Friedrich Gustav Lisco (1791-1866), hier unter dem Titel „Vom Unterschied zwischen der Logik und der Philosophie selbst, als ein Grundriss der Logik und Einleitung in die Philosophie“ abgedruckt, die im Wintersemester 1812/13 in 32 Einzelvorträgen (vom 22. Oktober bis zum 18. Dezember) gehalten wurde. Die Nachschrift aus Liscos Feder, einem Hörer Fichtes, der nach seinem Studium der Theologie und Philosophie als Lehrer und Prediger in Berlin wirkte, ist für die Editoren ein eindeutiges Indiz dafür, daß diese Handschrift als unmittelbare Mitschrift des Kollegs zu betrachten sei.
Insgesamt stellen die späten Schriften, auch die „Wissenschaftslehre 1810“ und „Die Thatsachen des Bewußtseins 1810/11“ sind hier zu nennen, den Versuch Fichtes dar, sein System des absoluten Wissens, des Bildes vom Absoluten, in einer letzten und geschlossenen Ganzheit darzulegen. Fichte, der in seiner Berliner Zeit maßgeblich an der Gründung der Universität beteiligt war, deren Dekan und späterer Rektor er gewesen ist, wurde seit dem Beginn seiner schweren Erkrankung 1808/09 deutlich, daß ihm die Arbeitszeit davonläuft. Daher war ihm zusehends daran gelegen, sein Lebenswerk nunmehr als Organon des Wissens zu bündeln. Die letzten Lebensjahre bilden somit nicht nur einen eigenständigen Abschnitt in seinem Schreiben und Denken, sondern der Plan dieser Jahre war es auch, sowohl eine systematisch-pädagogische Hinführung zur Wissenschaftslehre vorzulegen, als auch die Teildisziplinen der Wissenschaftslehre, die Natur-, Rechts-, Sitten-, und Religionslehre, die sogenannte Fünffachheit des Wissens, erneut hervorzuheben und darzustellen.
Den einzelnen Disziplinen der Wissenschaftslehre gehen dabei immer wieder erläuternde Vorlesungen voraus, die zum einen den transzendentalen Standort in den Blick nehmen, zum anderen als allgemeine Ein- und Hinführungen in das philosophische Denken insgesamt zu betrachten sind. In diesem Zusammenhang reflektiert Fichte nicht nur auf die sittliche Bestimmung des Gelehrten, sondern liefert zuvor auch immer eine faktisch-phänomenologische Darstellung des Bewußtseins, thematisiert also die sogenannten Tatsachen des Bewußtseins.
Im fünften Band der Kollegnachschriften geht es Fichte sodann um eine strikte Abgrenzung der formalen Logik und des empirischen Wissens, dem „empirischen Begriff“ oder „Princip der Empirie“, vom eigentlich philosophischen Wissen. Wie bereits zuvor in der Wissenschaftslehre von 1804 suchte er in den späteren Darstellungen der Wissenschaftslehre immer wieder nachzuweisen, daß das absolute Wissen unabhängig von jeder Faktizität aus einer obersten und letzten Einheit nur auf dem Wege einer strengen Deduktion entfaltet und abgeleitet werden kann.
Neben die immer wiederkehrende Beschäftigung mit der Fünffachheit des Wissens trat ab 1812 die verstärkte Auseinandersetzung mit der Logik. Diese war bereits während seiner Jenaer Zeit zentrales Thema von Fichtes Vorlesungstätigkeit in der Saalestadt, denn hier hatte er, wie vor ihm Schmid, Reinhold und später Hegel, eine Vorlesung über „Logik und Metaphysik“ gehalten, die sich neben der formalen Logik auch und insbesondere mit der Erkenntnistheorie beschäftigte. In seinen Vorlesungen von 1812 wird er dann erneut – nunmehr vom Standort der Wissenschaftslehre aus – die formallogische Denkweise kritisieren und an ihre Stelle die transzendentale setzen. Die Schlagrichtung seiner transzendentalen Logik war dabei eindeutig. Sie richtete sich gegen die Logiker Fries, Krug und insbesondere gegen De Wette, der ein Fries-Schüler in Berlin war.
Hinter Fichtes Vorlesungen zur Logik stand immer die Absicht, zur wahren Wissenschaftslehre hinzuleiten; die Vorlesungen waren damit zugleich Teil der Wissenschaftslehre, da auch die Logik, ähnlich wie die „Thatsachen des Bewußtseins“, die Leistung des Verstandes untersuchte und die Frage erörterte, wie die empirische Welt zu begreifen sei.
Gleichwohl sich die Logik-Vorlesungen aus dem Sommersemester 1812 und aus dem Wintersemester 1812/13 im fünften Band der Kollegnachschriften voneinander unterscheiden, denn die erste dient als Hinführung zur späteren, gibt es auch Unterschiede bezüglich des behandelten Gegenstandes, gemeinsam ist ihnen jedoch der energische Versuch Fichtes, das fundamentale Dogma einer formalen Logik zu erschüttern, um „so eine taugliche Vorbereitung, als sie irgend hier möglich zu seyn scheint, zur philosophischen Einsicht überhaupt“ zu geben.
Insbesondere in der Vorlesung „Vom Studium der Philosophie überhaupt“ äußert Fichte dann sehr deutlich seine Kritik an einer gewöhnlich-empirischen Denkart, die das „Organ für Philosophie verstopft“. Durch diese Denkart ist der Weg zur Wissenschaftslehre nicht nur verstellt, sondern diese führt letztendlich auch zu einem verkehrten Verständnis der Wissenschaftslehre selbst, die schließlich – im schlimmsten Fall – dualistisch interpretiert wird, wobei der Fehlschluß herauskommt, sie „leite aus einem Geiste an sich, unter dem Namen Ich, die materielle Welt ab“. Um diese Fehlschlüsse der formalen Logik von Anfang an zu vermeiden, setzt also Fichte darauf, die logische durch die transzendentale Denkweise zu ersetzen, um jedwedes formallogisches Vorurteil wegzubekommen. Gelingt dies, so kann gezeigt werden, „wie es mit dem Denken eigentlich zugeht.“
Letztendlich, und dies zeigen die Schriften zur Transzendentalen Logik deutlich, bleibt die Logik für Fichte nur Mittel zum Zweck, der eben die Wissenschaftslehre selbst ist. Um diese zu verstehen, ist aber der Durchgang durch die formale Logik, samt ihrer kruden Dogmatik, notwendig.